Geschätzte Geistlichkeit
Sehr geehrter Herr Landratspräsident
Sehr geehrte Regierungskollegen
Geschätztes Land und Volk von Uri
Seit 463 Jahren pilgert das Urner Volk mit den Behördenalljährlich zur Tellskapelle nach Sisikon. Der Stiftungsbrief von damals hältfest, dass wir uns mit der sogenannten Tellenfahrt unserer Geschichtevergewissern und all der Opfer gedenken, die Kriege und Gewaltherrschaftfordern.
Aus der Geschichte wissen wir, dass unsere Vorfahren hartund verlustreich für die Freiheit kämpfen mussten, die wir in der heutigenSchweiz geniessen dürfen.
Aber was trieb zur damaligen Zeit ein kleines Volk wie dieUrner überhaupt dazu, Kriege anzuzetteln? Glaubt man den überlieferten Zahlen ausall den grossen Schlachten wie Morgarten, Grandson etc., waren die Aussichtenauf einen Sieg alles andere als wahrscheinlich. Vielfach standen die tapferenEidgenossen einer grossen Überzahl von Gegnern gegenüber. Dennoch haben sie immerwieder den Kampf gewagt. Was die Damaligen damals trieb, das wissen wir nichtgenau, wir können aber mutmassen.
Und meine Mutmassung ist, dass sie kämpften für [Kunstpause]„Friede in Freiheit“. Nicht für Friede und Freiheit, sondern für Friede inFreiheit.
Der Begriff „Frieden“ wurde schon im Althochdeutschenverwendet. Das Wort „fridu“ stand schon damals für „Schonung“ und „Freundschaft“. Friede ist allgemein definiertals ein heilsamer Zustand der Stille oder Ruhe, als die Abwesenheit von Störungoder Beunruhigung und besonders von Krieg.
Heute leben wir in einer Zeit, die gerne als friedlich bezeichnet wird. Esstimmt, wir in der Schweiz haben keinen Krieg. Zumindest wir; andere aberschon. Genauer betrachtet leben wir aber wohl eher in einer Zeit der grossen Instabilität.
Und dann noch der Begriff„Freiheit“: EtymologischenVermutungen zufolge hat er seine heutige Bedeutung über das germanischefrī-halsa, also „jemand, dem „sein Hals selbst gehört“, der also über seinePerson selbst verfügen kann, erhalten.
Jeder von uns hat eine konkrete Vorstellung davon, was für ihn Freiheitist. Über den Freiheitsbegriff wurde deshalb über die Jahrhunderte vielgeschrieben und philosophiert. Der Begriff ist inhaltlich einem steten Wandelunterworfen und ändert sich je nach Epoche. Er ist auch abhängig vom Zeitgeistund den äusseren Umständen, die an einem bestimmten Ort herrschen. Ich gehe davon aus, dass die altenEidgenossen „Freiheit“ gleichgesetzt haben mit dem Selbstbestimmungsrecht.Das ist grundsätzlich auch heute so. Aber Hand aufs Herz. Ist für Sie heuteFreiheit nicht einfach, für ein Wochenende das Mobiltelefon komplettabzuschalten? Einmal einen ganzen Arbeitstag keine Termine wahrnehmen zu müssen?Wir sind genügsam geworden.
Ende März habe ich zum ersten Mal als ständiger Vertreter der Schweiz aneiner Session des Europarats teilgenommen. Es wollte der Zufall, dass ich ein Abendessenmit Teilen der ukrainischen und der moldawischen Delegation verbracht habe. Wirhaben viel über den Krieg, aber noch vielmehr über den Frieden gesprochen.
„Friede in Freiheit“ ist für sie so wie die Potenzierung des Glücks, dieVollkommenheit, wenn man beides hat. Man kann nämlich in Frieden leben, abernicht frei sein. Oder es ist möglich in Freiheit zu leben, ohne dass darumherum Frieden herrscht. Die UKR kämpfen für beides zusammen.
Und hier gibt es die Parallele zuden Kriegen der alten Eidgenossen: Ich glaube, dass das, was die damaligenLeute getrieben hat, sich furchtlos in den Kampf zu geben, nicht nur derFreiheitswille war, sondern die Idee, in Frieden zu leben.
Sie möchten nun von mir denSermon hören, wie jede patriotische Rede endet, dass es sich lohnt, für Friedenaufzustehen und die Freiheit zu erkämpfen, wie es die alten Eidgenossentaten... etc. Das tönt sehr heldenmutig und wird auch in der Politik gerneimmer wieder vorgebracht, wenn es darum geht aufzuzeigen, dass wir uns nichtder EU beugen wollen oder dies oder jenes nicht akzeptieren sollten.
Nein, ich habe ein viel bedeutenderesAnliegen: In der aktuellen Sicherheitslage in Europa wird «Friede in Freiheit»wieder wichtiger. Wir wollen uns dies einfach noch nicht eingestehen! Wirmüssen uns bewusst sein, Russland hat auf Kriegswirtschaft umgestellt. Sieproduzieren aktuell mehr Rüstungsgüter, als dass sie für den Krieg in derUkraine brauchen werden. Sie füllen ihre Kriegsarsenale. Und was macht Europa? Wirdiskutieren immer noch darüber, ob die Verteidigungsausgaben auf 1%, 1.5% desBIP erhöht werden sollen, oder gar auf 0.5% belassen werden sollen. In derSchweiz sprechen wir vom «Aufwuchs» bis 2035. Dies könnte allerdings dann zu spätsein…
Für mich ist der Ausspruch „fürFrieden in Freiheit“ aktueller denn je. Und dies im eigentlichen Sinne, wie esdamals während den grossen Kriegen der Eidgenossen war. Es wird sich lohnen,sich dafür einzusetzen, sei der Preis noch so hoch und die Strapazen noch sohart. Und wenn ich die aktuellen Entwicklungen im Sicherheitsbereich in Europaanschaue, frage ich mich, wann unsere Sorglosigkeit endet!
Geschätztes Land und Volk von Uri
Ich könne Ihnen an dieser Stelle ausaktuellem Anlass einen Auszug aus der unendlich langen Liste der Gefallenen inder Ukraine vorlesen. Oder aber vom Krieg in Südsudan, vom Gaza-Streifen, inJemen, in Myanmar oder einem anderen Konflikt auf der Welt. Traditionellgedenken wir aber an der Tellenfahrt unseren Kämpfern, die ihr Leben für Urigelassen haben. Ihre Namen stehen aber stellvertretend für alle Gefallenen inallen Kriegen dieser Welt, nicht nur Soldaten, sondern auch Soldatinnen, füralle Mütter, Väter und Kinder.
So sind für die Freiheit aus Urigefallen (und ich tue dies auszugsweise):
1315 am Morgarten
- Ritter Heinrich von Hospenthal
- Konrad von Geroldingen
- Rudolf Fürst
- Konrad Löri
- Welte Seman
1339 in der Schlacht bei Laupen
- Heinrich Zumbrunnen
- Konrad an der Gand
1386 bei Sempach
- Landammann und Hauptmann Konrad der Frauwen
- Johannes Schuler, Landschreiber
- Konrad von Utzingen
- Dietrich von Maggigen
- Kuoni Schötz von Flüelen
- und andere mehr
1422 in der Schlacht vor Bellenz
- Landammann und Hauptmann Johannes Rodt
- Landesfähndrich Heinrich Püntener
- Landschreiber Johannes im Oberdorf, Konrad derFrauwen
- Peter Zwyer
- Konrad Schillig
- und andere mehr
1443 im Zürcherkrieg
- Beat Kluser
- Hans Imhof
- Heinrich Jauch
- und andere mehr
1444 vor Basel an der Birs
- Hauptmann Aerni Schick
- Heinrich Imhof
- Peter und Heinrich Zwyer
- und andere mehr
1531 in der Schlacht bei Kappel und am Zugerberg
- Vogt Plätteli
- Heinrich Gisler
- Heinrich Scheidler
- und andere mehr
1712 in der Schlacht bei Villmergen
- Franz Walker, Pfarrhelfer von Altdorf
- Pater Josef Maria Schmid, Kapuziner,Feldprediger
- Pannerherr Johann Josef Bessler
- Leutnant Florian Anton Crivelli
- Leutnant Johann Melk Straumeyer
- und andere mehr
in den verschiedenen Gefechten der Revolutionszeit
- Landsmajor & Landschreiber Franz VinzenzSchmid
- Feldweibel Franz Maria Gisler
- Kaplan Josef Maria Imhof
- Leutnant Alfons Desideri Schmid
- Josef Anton Arnold
- und andere mehr
1845 im Kampfe gegen die Freischaren
- Korporal Anton Herger von Spiringen
1847 im sogenannten Sonderbundskrieg
- Leutnant Ludwig Balthasar von Luzern
- Julius Arnold von Altdorf
So gedenken wir ihnen und allen anderen, die bei den verschiedenenKriegen und Schlachten für ihre Freiheit umgekommensind.